Die Goethe-Sammlung und die Ungarische Akademie der Wissenschaften
Die Kunstsammler Elischer-Familie
Die deutschstämmigen Elischer lebten seit dem 17. Jahrhundert in der heutigen Ostslowakei. Balthasar Elischer (1794–1831) war Fleischer in Preschau (ung. Eperjes, heute Prešov), seine drei Söhne absolvierten alle ein Studium. Der älteste, ebenfalls Balthasar (1818–1895), der später die Goethe-Sammlung anlegte, wurde Jurist, wie auch sein jüngerer Bruder Gabriel (1828–1852). Carl (1822–1885) studierte Musik, betrieb kurze Zeit einen Musikverlag in Leipzig, dann eröffnete er einen Fleischwarenhandel in Kaschau (ung. Kassa, heute Košice) und war Gründungsmitglied der Königlich-Ungarischen Musikakademie. Julius Elischer (1846–1909), der spätere Arzt und Stifter des Goethe-Zimmers, war sein Sohn.
Der Goethe-Sammler Balthasar Elischer war ein hochgeachteter Rechtsanwalt und Wechseladvokat in Pest. In den 1850er Jahren war er Privatdozent für Wechselrecht sowie Rechtsvertreter für mehrere Handelshäuser. Seine Leidenschaft für Goethe ist auch seinem deutschsprachigen Freundeskreis zu verdanken. Das Bürgertum im damaligen ungarischen Oberland (heute ein Teil der Slowakei) brachte einige Goethe-Verehrer hervor, u.a. den Verleger Gustav Heckenast, den Buchhändler Otto Wigand oder den Komponisten Robert Volkmann.
Balthasar Elischer fing schon während seines Jurastudiums in Leipzig an, Goethe-Reliquien zu sammeln. Der Leipziger Verleger Salomon Hirzel, selber begeisterter Goethe-Sammler, beriet ihn dabei. Elischer blieb sein Leben lang in Verbindung mit ihm, wie auch mit Friedrich Zarnecke, Hermann Rollett und Gustav von Loeper. Elischer wurde Mitglied im Wiener Goethe-Verein und in der Goethe-Gesellschaft in Weimar, das Freie Deutsche Hochstift in Frankfurt am Main wählte ihn zum Ehrenmitglied. Seine Sammlung war so bekannt, dass dort namhafte Goethe-Forscher Objekte ausliehen. So steuerte etwa der „Herr Advocat Elischer in Pesth” 1861 mehrere Unikate zur Berliner Goethe-Ausstellung bei, die er selbstverständlich auch persönlich besuchte.
Elischer starb am 25. März 1895 in Budapest. Die deutschsprachige Tageszeitung Pester Lloyd würdigte gleichermaßen seine Verdienste als Rechtsanwalt wie seine erlesene Goethe-Sammlung, die er ursprünglich dem Weimarer Goethe-Museum vermachen wollte. Er überlegte sich schließlich anders und vermachte sie seinem Neffen Julius.
Julius Elischer wurde 1871 an der Universität Wien zum Doktor der Medizin promoviert, dann ließ er sich in Pest nieder, wo er 1903 für seine Verdienste im öffentlichen Gesundheitswesen geadelt wurde. Er war auch ein begabter Musiker, Amateurmaler und besaß eine bemerkenswerte Sammlung alter Kunst. Seine Kupferstich-Sammlung, u.a. mit Werken von Dürer und Rembrandt, ist heute Bestandteil der Grafischen Sammlung des Museums der Schönen Künste in Budapest.
Die Stiftung des Goethe-Zimmers
Dem Willen seines Onkels entsprechend stellte Julius Elischer dessen Goethe-Sammlung „in den Dienst der Heimat“ und vermachte sie „einer öffentlichen Institution“. Am 27. Mai 1895 zeigte er in einer Ausstellung die wichtigsten Objekte in der Wohnung seines Onkels. Zur Eröffnung wurde eine erlesene Gesellschaft geladen, danach konnte die Ausstellung drei Tage lang von „allen Budapester Goethe-Verehrern“ besichtigt werden. Das Interesse war außerordentlich. Unter den geladenen Gästen war der Minister für Religion und Bildung, Gyula Wlassics, der den Wunsch geäußert haben soll, dass „diese Schätze in Ungarn verbleiben mögen“. Wenige Tage später bat ihn Elischer, die Akademie der Wissenschaften wegen der Angelegenheit zu kontaktieren. Es brauchte nur ein knappes Jahr, um im Palais der Akademie die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Goethe-Zimmers zu schaffen. Am 31. Mai 1896 fand die feierliche Eröffnung statt, und noch im gleichen Jahr erstellte Oberbibliothekar August Heller einen Katalog der Elischer’schen Goethe-Sammlung in deutscher und ungarischer Sprache.
Das Goethe-Zimmer schaffte eine Tradition: nach seinem Vorbild bekam 1896 auch der Akademie-Gründer István Széchenyi ein Gedenkzimmer, dem später weitere ähnliche Einrichtungen folgten.