Goethe zum Kennenlernen
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) wurde dank seinem Talent und einigen glücklichen Fügungen zu einem der herausragendsten Autoren der Weltliteratur. Er lebte in einer Übergangszeit: Das Europa und das Deutschland, in denen er seine Jugend verbrachte, waren noch mittelalterlich geprägt, während er in seinem Alter, als auch schon die Französische Revolution längst vorbei war, erlebte noch die Anfänge der industriellen Revolution. Seine vielfältige Begabung lässt ihn mit den Genies der Renaissance vergleichen – was auch immer er in Angriff nahm, er meisterte es vortrefflich. Goethe hinterließ ein enorm großes lyrisches Werk, er schrieb eindrucksvolle Romane, seine Dramen wirken noch heute aktuell. Auch seine naturwissenschaftliche Leistung ist bewundernswert – er beschäftigte sich u.a. mit Mineralogie und Meteorologie, mit der Urgeschichte der Erde sowie mit Astronomie, mit Osteologie und Botanik. Seine Abhandlung Zur Farbenlehre gilt bis heute als Grundlagenwerk der Optik. Er war ein hervorragender Zeichner und Kupferstecher, und leistete auch in der Architektur, in der Bildhauerei und im Denkmalschutz wesentliche Beiträge.
Ihm war ein langes Leben beschieden, und er wusste seine 83 Jahre gut zu nutzen. Die Werke aus seiner Jugendzeit faszinieren noch heute durch Frische und Enthusiasmus. Mit fortschreitendem Alter interessierte er sich immer mehr für die Synthese, für die organische Entwicklung, dazu kam Weisheit und ein umfangreiches Wissen. Seine schöpferische Energie bewahrte er bis zum letzten Augenblick seines Lebens. Diese Wandlung ist sehr gut an seinem Faust zu verfolgen, an dem er von seinem zwanzigsten bis zum zweiundachtzigsten Lebensjahr mit nur wenig Unterbrechung arbeitete. Er war diszipliniert genug, die Arbeit am „großen Werk“ nicht vorzeitig abzuschließen, sondern abzuwarten, wie sich die Konzeption organisch weiterentwickelt. Er hatte die Kraft, sich nochmals und nochmals dieser gewaltigen Aufgabe zu widmen. Auch im Greisenalter hatte er die Frische des Geistes und das Glück, bei guter Gesundheit zu sein, um sein Magnum Opus wenige Monate vor seinem Tod beenden zu können.
Goethe starb vor beinahe zweihundert Jahren, dennoch ist er auch noch heute aktuell. Seine Werke bieten ein unendlich reiches Universum. Es lohnt, sich mit ihm zu beschäftigen.
Genius ad infinitum
Goethe in Zahlen
Genius ad infinitum
Goethe in Zahlen
Die wichtigsten Lebensdaten illustriert durch Bilder aus der Sammlung
28. August 1749
1758-1764
Zwei Jahre lang besucht Johann Wolfgang die Schule, dann übernehmen Privatlehrer und der Vater seine Ausbildung. Man beschäftigt sich mit den damals üblichen Unterrichtsinhalten und legt besonderen Wert auf Fremdsprachen.
Die Familie pflegt gute Kontakte zu den Frankfurter Künstlern. Der junge Goethe schwärmt fürs Theater und das Puppentheater.
Sein literarisches Vorbild ist Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803). Er liest viel, vor allem in der Bibel, außerdem Volksmärchen und Abenteuer. Von seiner Mutter hört er viele Märchen. Er schreibt seine ersten Gedichte.
1765-1767
Der junge Goethe lernt fechten und reiten, er nimmt in Leipzig ein Studium der Rechte auf, aber mehr als das Jurastudium interessieren ihn Kunst und Literatur. Seine erste Liebe, Anna Katharina Schönkopf (Käthchen), inspiriert ihn zu der Gedichtsammlung Annette. Er schwärmt für die Werke von Johann Joachim Winckelmann, Lessing und Wieland. Bernhard Theodor Breitkopf vertont Goethes erste Gedichte und gibt sie unter seinem eigenen Namen heraus (Leipziger Liederbuch).
1768
1769
Goethe setzt sein Studium in Straßburg fort. Er wird wichtiger Vertreter der Bewegung des „Sturm und Drang“. Auf Einfluss von Johann Gottfried Herder (1744–1803) sammelt er Volkslieder. Goethe verliebt sich in Friederike Brion, an die er den Zyklus Sesenheimer Gedichte schreibt, darin das Heidenröslein, das in der Vertonung Schuberts eines der bekanntesten deutschen Kunstlieder wird.
1771
1772
Als Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar setzt er das Schreiben fort, u.a. beginnt hier die Beschäftigung mit dem Faust-Thema. Goethe verliebt sich in Charlotte Buff (Lotte), zwei Jahre später entsteht der Briefroman Die Leiden des jungen Werther.
1773
Goethes Drama Götz von Berlichingen erscheint und schafft die Grundlage für den Ruhm seines Verfassers.
1774
Nach heimlichen Vorarbeiten schreibt Goethe innerhalb von vier Wochen den Briefroman Die Leiden des jungen Werther, der ihn auf einen Schlag europaweit berühmt macht.
1775
Goethe lernt Anna Elisabeth Schönemann (Lili) kennen und verlobt sich für kurze Zeit mit ihr. Im Mai reist er mit den Gebrüdern Stolberg in die Schweiz. Am 7. November geht er auf Einladung des Herzogs Carl August (1757–1828) nach Weimar, wo er bald zu seinem Freund und engsten Mitarbeiter wird.
Beginn der Freundschaft mit Charlotte von Stein (1742–1827), der einflussreichsten Weimarer Hofdame, und dem Dichter Christoph Martin Wieland (1733–1813), dem „Vater der deutschen Klassik“.
1776
Goethes Beamtenkarriere nimmt ihren Anfang: der Herzog von Sachsen-Weimar ernennt ihn erst zum Legationsrat, dann zum Geheimen Rat. Er wird rasch zum wichtigsten und bestbezahlten Beamten des Fürstentums.
Goethe pflegt mit den Herzoginnen Anna Amalia und Luise ein gutes Verhältnis. Er zieht ins Gartenhaus, das er von Carl August geschenkt bekommen hat. Hier lebt er bis 1782, das schöne Haus wird zum Entstehungsort mehrerer berühmt gewordener Gedichte (Erlkönig, An den Mond).
1777
Goethes geliebte Schwester Cornelia (1750–1777) stirbt kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes. Im Dezember reist Goethe in den Harz und besteigt dessen höchsten Berg, den Brocken. Auch darüber schreibt er ein Gedicht.
1780
Goethe beginnt mit systematischen Forschungen auf den verschiedensten Gebieten der Naturwissenschaften. Er beschäftigt sich u.a. mit Mineralogie und Meteorologie, mit der Urgeschichte der Erde sowie mit Astronomie, Osteologie, Botanik und Farbenlehre.
1782
Goethe bekommt den Adelstitel verliehen und wird, schon als Johann Wolfgang von Goethe, Finanzminister.
Er zieht in das Stadthaus am Frauenplan, das für ihn viel mehr sein wird als ein einfacher Wohn- und Arbeitsort: er richtet die Zimmer nach seinen künstlerischen Idealen ein, schafft Raum für Konzerte und Vorträge, bringt hier seine Bibliothek und seine naturwissenschaftliche und Kunstsammlung unter. „Des Menschen Wohnung ist sein halbes Leben“, schreibt er in einem Brief.
Sein Vater stirbt.
1784
Goethe entdeckt das „Os intermaxillare“ im vorderen mittleren Teil des Schädels.
Er reist wieder inden Harz.
1786-1788
Vor der erschöpfenden Amtstätigkeit – er steht schon seit zehn Jahren aktiv im Dienst Carl Augusts – flieht Goethe nach Italien, im Gepäck die Werke, die darauf warten, abgeschlossen zu werden. Er besucht Verona, Vicenza, Venedig, Siena, Florenz, Mailand, Neapel, Sizilien, lebt ein Jahr in Rom, beendet zwei Dramen – die Iphigenie und den Egmont –, arbeitet am Tasso und am Faust, und entdeckt im botanischen Garten von Palermo das Prinzip der Urpflanze.
1788
Nach Weimar zurückgekehrt, lernt Goethe die 16 Jahre jüngere Christiane Vulpius (1765–1816) kennen. Dies ist der Beginn eines langen Liebesverhältnisses. Die erfüllte Liebe inspiriert den Dichter zu den Römischen Elegien. Am Weimarer Hof wird die Beziehung für skandalös gehalten.
Goethe begegnet zum ersten Mal Friedrich Schiller (1759–1805), dem er ein Jahr später zu einer Berufung auf eine Professur für Geschichte in Jena verhilft.
1787–1790: In acht Bänden erscheint die erste Gesamtausgabe der Werke Goethes.
1789
Am 25. Dezember wird sein Sohn Julius August Walther von Goethe (1789–1830) geboren. Goethe hatte mit Christiane Vulpius fünf Kinder, von denen nur dieser Sohn das Erwachsenenalter erreichte.
Beginn der Freundschaft mit Wilhelm von Humboldt (1767–1835), Teilnahme am Krieg gegen Frankreich an der Seite des Herzogs Carl August.
Abschluss der achtbändigen Göschen-Werkausgabe zu Goethes 40. Geburtstag (Goethes Schriften. Leipzig: G. J. Göschen, 1787–1790)
1789-1805
Die Begegnung von Goethe und Schiller bringt die Blütezeit der Weimarer Klassik hervor. Zu den „vier Sternen“ der Weimarer Klassik (ca. 1786–1832) gehören außerdem Herder und Wieland.
Ein wichtiges Publikationsorgan in dieser Zeit ist die von Schiller herausgegebene Zeitschrift Die Horen (1795–1797).
1790
Goethes zweite italienische Reise, er verbringt mehrere Monate in Venedig.
Goethe schreibt viel, u.a. erscheinen in diesem Jahr die botanische Schrift Versuch über die Metamorphose der Pflanzen und der Vorläufer des späteren großen Dramas Faust. Ein Fragment.
1791
Mit Ifflands Schauspiel Die Jäger wird das Weimarer Hoftheater eröffnet, dessen erster Direktor Goethe ist. Unter seiner Leitung werden hier Stücke von Schiller, Shakespeare, Lessing, Schlegel, Voltaire und Goethe selbst aufgeführt. Das meistgespielte Stück ist dennoch Mozarts Zauberflöte.
1792
Goethe zieht in den Krieg gegen Frankreich und nimmt an der Belagerung von Mainz teil.
1794-1805
Schiller und Goethe sind durch eine enge Freundschaft und schöpferische Beziehung verbunden. Sie beginnt mit Schillers Gruß zu Goethes 45. Geburtstag (28. August 1794) und endet mit Schillers Tod. Gemeinsam formulieren sie ihre Poetik. Die beiden spornen einander zur Arbeit an und verfassen zusammen mehrere Epigramme der 1797 erschienen Xenien.
1795-1798
Es erscheint das aus neun Liedern bestehende Epos Hermann und Dorothea, bis heute eines der populärsten Werke Goethes.
1804
Der mit der Aufsicht über die Jenaer Universität betraute Goethe gründet die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, in der außer Literatur, Philosophie und Politik auch Medizin, Anthropologie und die Naturwissenschaften Platz finden.
1805
Freundschaft mit dem Altphilologen Friedrich August Wolf (1759–1824).
1806
1808
Faust. Der Tragödie erster Teil erscheint.
Goethe begegnet Napoleon, der – zu Goethes nicht geringer Überraschung – auswendig aus dem Werther zitiert, den er angeblich siebenmal gelesen hat.
Goethes Mutter stirbt.
1809
Der Roman Wahlverwandtschaften erscheint, der oft als Goethes bestes und zugleich als sein rätselhaftestes Werk bezeichnet wird.
1810
Nach mehreren Vorstudien schließt Goethe das Werk zur Farbenlehre ab, die Darstellung seiner Überlegungen, Literaturstudien und Versuche über das Wesen der Farbe.
Publikation der 13-bändigen Werkausgabe Goethes Werke (Tübingen: J. G. Cotta 1806–1810).
1811
Der erste Band der Autobiographie Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit erscheint. Goethe beginnt, sich mit der arabischen Kultur und der klassischen persischen Dichtung zu beschäftigen.
1814-1815
Goethe arbeitet an der Gedichtsammlung West-östlicher Divan, die 1819 erscheint. Die Freundschaft mit Marianne von Willemer beginnt. Goethe wird Staatsminister, zu seinen Aufgaben gehört die Aufsicht über die kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen in Weimar.
1816
Goethe ordnet seine Dokumente und Aufzeichnungen. Es erscheinen die Italienische Reise, Wilhelm Meisters Wanderjahre und Die Geschichte meines botanischen Studiums.
1817
1819
Publikation der 20-bändigen Ausgabe der gesammelten Werke (Goethes Werke. Stuttgart, Tübingen: J. G. Cotta 1815–1819).
1823
Johann Peter Eckermann (1792–1854) tritt als „Sekretär“ in Goethes Dienst. 1831 bestimmt der Dichter ihn zu seinem Nachlassverwalter. Eckermanns Erinnerungen Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens legen den Grundstein für den späteren Goethe-Kult.
In Marienbad verliebt sich Goethe in die neunzehnjährige Ulrike von Levetzow und hält um ihre Hand an, bekommt aber einen Korb.
1827-1828
Großherzog Carl August stirbt.
1829
Im Braunschweiger Hoftheater wird der Faust uraufgeführt.
1830
Im Februar stirbt Großherzogin Luise. Im Oktober fällt Goethes Sohn August in Rom den Pocken zum Opfer.
Publikation der Werkausgabe Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand in 40 Bänden (Stuttgart, Tübingen, 1827–1830). Die Ausgabe wird ergänzt durch Goethes nachgelassene Werke in 20 Bänden (1832–1842).
1831
Goethe beendet Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Er legt das Manuskript in einen versiegelten Umschlag, der erst nach seinem Tod geöffnet werden darf.